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Resilienz: Meine Reise durch die Stürme des Lebens
Ein persönlicher Erfahrungsbericht aus Goslar
Als die Welt im Frühjahr 2020 zum Stillstand kam, saß ich in meinem Wohnzimmer in Goslar und spürte eine nie dagewesene Unsicherheit. Die Straßen waren leer, die Schulen geschlossen, und meine drei Kinder stellten täglich neue Fragen, auf die ich keine Antworten hatte.
Die Pandemie traf uns alle unvorbereitet. Als nicht-binärer IT-Projektleiter:in und Elternteil von drei Kindern stand ich vor der Herausforderung, Beruf, Familie und mich selbst unter einen Hut zu bringen, während die Welt um uns herum ins Wanken geriet. In diesen Momenten erkannte ich die Bedeutung von Resilienz – der Fähigkeit, trotz widriger Umstände standhaft zu bleiben und sogar gestärkt daraus hervorzugehen.
Die Säulen der Resilienz in meinem Alltag
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Akzeptanz der Realität: Verdrängung hilft nicht weiter. Wer sich einer Krise stellt, kann beginnen, konstruktive Lösungen zu finden. Nimm dir Zeit, deine Situation objektiv zu betrachten. Was kannst du ändern? Was nicht? Schreibe deine Gedanken auf und versuche, dein Mindset von "Warum passiert mir das?" auf "Was kann ich jetzt tun?" umzustellen.
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Selbstwirksamkeit: Mache dir bewusst, dass du Einfluss auf dein Leben hast. Fange mit kleinen Schritten an: Setze dir erreichbare Ziele für den Tag oder die Woche. Auch Routinen, wie täglich ein paar Minuten Bewegung, können dabei helfen, das Gefühl der Kontrolle zurückzugewinnen.
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Soziale Unterstützung: Selbst wenn physische Distanz erforderlich ist, sollten soziale Verbindungen nicht abbrechen. Verabrede dich bewusst zu Gesprächen, auch online. Suche dir Gleichgesinnte, sei es in einer Selbsthilfegruppe oder einer Gemeinschaft mit ähnlichen Interessen. Niemand muss Krisen allein durchstehen.
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Optimismus und positive Zukunftsgestaltung: Trainiere deinen Blick für Positives. Führe ein Dankbarkeitstagebuch, in dem du täglich drei Dinge notierst, die gut gelaufen sind. Es kann helfen, sich aktiv in konstruktive Projekte einzubringen – sei es Ehrenamt, Umweltschutz oder kreative Arbeit.
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Selbstfürsorge und Achtsamkeit: Resilienz bedeutet nicht, sich selbst zu überfordern. Achte bewusst auf deine Bedürfnisse: Gönne dir Pausen, mache Atemübungen oder Yoga, höre Musik, die dich entspannt. Auch gesunde Ernährung, guter Schlaf und regelmäßige Bewegung beeinflussen deine psychische Widerstandskraft erheblich.
Meine Reise zur Selbstliebe
Ein zentraler Aspekt meiner Resilienz-Reise war die Auseinandersetzung mit Selbstliebe. Lange Zeit habe ich meine eigenen Bedürfnisse hintenangestellt und mich vor allem über Leistung und Anerkennung definiert. Doch gerade in einer Phase der Unsicherheit wurde mir bewusst, dass Resilienz nicht nur bedeutet, stark zu sein, sondern auch sich selbst zu erlauben, schwach zu sein.
Ein Satz, den ich mir damals oft gesagt habe, war: „Die wichtigste Liebe ist die Selbstliebe.“ Diese Erkenntnis half mir, meine eigenen Grenzen anzuerkennen und nicht mehr gegen mich selbst zu kämpfen. Ich begann, mich mit meinen Emotionen auseinanderzusetzen, anstatt sie zu verdrängen. Das bedeutete auch, alte Muster zu hinterfragen und aktiv neue Wege der Selbstfürsorge zu suchen.
Wir sind Subjekte mit Gefühlen und keine Objekte mit Geldwert. Diese Überzeugung hat mir geholfen, mich selbst nicht über meine Produktivität oder meinen finanziellen Wert zu definieren, sondern über meine Werte, meine Emotionen und meine Fähigkeit, mich weiterzuentwickeln.
Resilienz in Zeiten der Klimakrise
Die psychische Widerstandskraft ist nicht nur auf individuelle Krisen anwendbar, sondern auch auf gesellschaftliche Herausforderungen. Die Klimakrise ist eine der größten Bedrohungen unserer Zeit, und viele Menschen empfinden eine tiefe Ohnmacht gegenüber den Entwicklungen. Doch auch hier kann Resilienz helfen: Statt in Pessimismus zu verharren, können wir aktiv handeln, uns mit Gleichgesinnten vernetzen und eigene Wege finden, um Veränderungen anzustoßen.
Gerade in der Klimabewegung ist es essenziell, eine langfristige psychische Widerstandskraft zu entwickeln. Engagement und Aktivismus können emotional belastend sein, doch wer sich seiner eigenen Resilienz bewusst ist, kann sich langfristig für eine bessere Zukunft einsetzen, ohne daran zu zerbrechen. Ich erinnere mich an Diskussionen mit Mitstreiter:innen, die erschöpft vom Kampf gegen politische Widerstände waren. Unsere Erkenntnis war: Wenn wir als Aktivist:innen nicht auch auf uns selbst achten, werden wir nicht in der Lage sein, nachhaltig etwas zu verändern.
Auch in meiner Familie spielten nachhaltige Entscheidungen eine Rolle. Während des Lockdowns begannen wir, unseren eigenen kleinen Garten zu pflegen, Lebensmittel bewusster auszuwählen und mehr Wert auf Klimaschutz im Alltag zu legen. Diese kleinen Veränderungen gaben uns das Gefühl, auch in einer unsicheren Welt Kontrolle zurückzugewinnen.
Wissenschaftliche Perspektiven auf Resilienz
Resilienz ist kein mysteriöses Talent, das nur wenige besitzen – sie ist erlernbar und wird in der Psychologie intensiv erforscht. Wissenschaftliche Studien zeigen, dass Menschen, die Krisen erfolgreich bewältigen, meist auf folgende Faktoren zurückgreifen können:
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Flexibles Denken: Die Fähigkeit, sich neuen Gegebenheiten schnell anzupassen.
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Emotionale Regulierung: Der Umgang mit Stress, Angst und Frustration.
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Sinnfindung: Wer eine übergeordnete Bedeutung in seinen Erlebnissen sieht, kann schwierige Situationen besser verarbeiten.
Ein berühmtes Beispiel ist die Forschung von George A. Bonanno, der zeigte, dass Resilienz oft unterschätzt wird und viele Menschen auch nach traumatischen Ereignissen langfristig eine positive psychische Entwicklung durchmachen können.
Fazit: Resilienz als Lebensphilosophie
Die vergangenen Jahre haben mir gezeigt, dass Resilienz nicht nur eine Fähigkeit, sondern eine Lebensphilosophie ist. Durch Akzeptanz, Selbstfürsorge und aktives Handeln können wir den Stürmen des Lebens trotzen und gestärkt daraus hervorgehen.
Ob in persönlichen oder gesellschaftlichen Krisen – die Fähigkeit, Herausforderungen zu meistern und sich trotz allem weiterzuentwickeln, ist der Schlüssel zu einer lebenswerten Zukunft. Denn wie ich während meiner eigenen Reise gelernt habe: „Resilienz bedeutet nicht, keine Narben zu haben, sondern mit ihnen zu leben und trotzdem vorwärtszugehen.“
Quellen
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Bonanno, G. A. (2004). Loss, trauma, and human resilience: Have we underestimated the human capacity to thrive after extremely aversive events? American Psychologist, 59(1), 20–28.
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Masten, A. S. (2001). Ordinary Magic: Resilience Processes in Development. American Psychologist, 56(3), 227–238.
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Walker, B., Holling, C. S., Carpenter, S. R., & Kinzig, A. (2004). Resilience, adaptability, and transformability in social-ecological systems. Ecology and Society, 9(2), 5.
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IPCC-Berichte zur Klimaanpassung und Resilienz: https://www.ipcc.ch
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Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA): https://www.bzga.de
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Umweltbundesamt: Resilienz in der Klimaanpassung: https://www.umweltbundesamt.de

Braunschweig Mai / Juni 2025